Linke Leute von rechts
WB, Jg.28, Nr.31, 2.August 1932, S.153-158
"Links", "rechts" - diese Unterscheidung wird täglich dümmer.
Wer kommt noch mit ihr aus? Eine Periode des Gemeinplatzbebens in der Politik hat begonnen;
und nur die verrostetsten Seismographen melden nichts. Verkaufen wir sie als Altblech
nach dem Mond! Also sprach Börne: "Wie es unter einer Million Menschen nur
tausend Denker gibt, so gibt es unter tausend Denkern nur einen Selbstdenker."
Der Satz ist hundertundneun Jahre alt und dennoch so frisch, als wäre er eben
vom Baum gepflückt. Er findet sich in demselben Kapitel der Vermischten
Aufsätze, Erzählungen, Reisen', das die ergreifende Stelle enthält:
"Aber das Vaterland der Gedanken ist das Herz" und den unheimlich aktuellen
Passus: "Eine schimpfliche Feigheit zu denken hält uns Alle zurück.
Drückender als die Zensur der Regierungen ist die Zensur, welche die öffentliche
Meinung über unsere Geisteswerke ausübt. Nicht an Geist - an Charakter mangelt
es den meisten Schriftstellern ..." Seitenlang möchte man zitieren. Unter
den Denkern der deutschen Vergangenheit die tüchtigsten, nämlich die tiefsten,
redlichsten, schärfsten und hellsten, sind heute so gut wie außer Mode:
die Kant, Lessing, Lichtenberg, Friedrich Schlegel, Fries, Schopenhauer, Börne
- während hoch im Kurs alle denkerische Impotenz und Scharlatanerie steht: Magiertum
und Hegelei (ihr Negativ eingeschlossen). Zwischen Mystizismus und Materialismus führt,
fast auf verlornem Posten, der Kritizismus seinen heroischen Zweifrontenkrieg; keine
Kraft unter den Kräften des Menschen wird vom Pöbel aller Lager heute in
gleichem Grade geschmäht und gelästert wie die Vernunft. Sie wird obsiegen;
aber gegenwärtig wandelt sie den Kreuzesweg.
Börne also, über das Denken ... ich unterbrach mich, wollte fragen: Wer taugt
mehr, ein kommunistischer Nichtdenker oder ein nationalistischer Selbstdenker? Möge
Jeder diese Frage nach seinem Privatgeschmack beantworten (oder besser: nach andern
Kriterien als denen des Geschmacks); allgemeingültig scheint mir zu sein, daß
Selbstdenker, mögen sie auftauchen in welcher politischen Gegend auch immer, ernster
Beachtung wert sind - zumindest in einer Epoche, deren herrschende Politik-Gruppen
ein so erbärmliches intellektuelles Niveau zeigen (und daher so schaurige Resultate
hervorbringen) wie die großen Parteien in diesem Deutschland: jene alten Vereine,
die sich in das Gesetzgebungsmonopol teilen, und jene jüngeren, ebenso fragwürdigen,
die es ihnen entreißen wollen.
Vor fünf Jahren schrieb ich hier über die "Neuen Nationalisten",
die Leute um Schauwecker. Sie waren wirklich neuartig, auf ihre Weise durchgeistet,
keine Stammtischpatrioten, keine schwarzweißroten Rauschebärte; der für
unsereinen interessanteste Abseiterkreis des Nationalismus sind sie indes heut längst
nicht mehr - schon weil das Häuflein zersprengt, der Block zerstäubt scheint,
die Atome verweht, neugebunden.
Und Otto der Straßer? Ein aus bemerkenswert saubern Gründen von Hitler Gewichener,
die Sensation dreier Wochen - von ernsterer Bedeutung und Zukunft schwerlich, weder
er noch seine Kohorte. Daß sie klein ist, bleibt belangarm; Quantitäten
haben in der Kulturgeschichte noch niemals die Entscheidung gebracht. Aber da wogt
alles zu gallertig; diese Mannen haben Mythos und Mystik mit Suppenkellen gegessen;
statt Hosen haben sie Irrationalismus an; gehn sie im Felde des Geistes spazieren,
dann blubberts und triefts; wer Kant gelernt hat, wer trocknes Denken mag (Trocknes
kann knistern; siehe Seide, siehe Katzenfelle), wer Randschärfe der Begriffe liebt,
dem ist dieser Stil zu feucht, zu weich, zu schlaff. "Tiefe"? Tüfe!
- da es die Talmi-Tiefe Derer ist, die weder den gesammelten Geist der Vorwelt im Blute
haben noch mit der Kraft gesegnet sind, selbständig einen Gedanken zuende zu denken;
die zwischen Spießertrivialheit und letzter, feinster, klarster Erkenntnis auf
halbem Wege im Schlamm stecken bleiben. O, ihr den Begriffsglibber Ernstnehmenden,
den anspruchsvoll-ideologischen Glitschkitsch, o Hörige milchig-trüber, wolkiger,
scheintiefer Fühldenkerei -: daß man vom Spiegel eines Gewässers nicht
bis auf den Grund hinabsehen kann, diese Eigenschaft teilt der Ozean mit der Pfütze;
also schließe man von Undurchsichtigkeit nicht gleich auf Ozean! Umgekehrt wieder
wird der Schluß, was klar ist, müsse flach sein, durch manchen Bergsee widerlegt;
nur Kinder verkennen, daß die bunten Kiesel, die man durch den Azur seines Wassers
wie zum Greifen nahe schaut, oft in gefährlicher Tiefe ruhn.
Soviel über Straßer (Otto). Es trifft aber, zu einem Bruchteil wenigstens,
auch auf jene Nationalistengruppe zu, die heute vor den andern Aufmerksamkeit für
sich beanspruchen darf: die Gruppe um Karl O. Paetel. Selbstgefällig-unzulängliche
Mystagogie (erklärlich durch die Herkunft aus rechtsgerichteter Jugendbewegung,
aus Metawandervogelphysik, "bündischer") mischt sich da mit rühmlich
energischem Willen, zur Klarheit vorzustoßen - zu einer Klarheit, die nicht simpel
sondern komplex ist; die, ohne vom Goldkern des Nation-Erlebnisses einen Deut preiszugeben
(welches ja nur Seelenkrüppeln fremd bleibt), sozialistisch-revolutionäre
Erkenntnis wird. Flachköpfe pflegen in der Vollziehung einer Synthese die Vernachlässigung
eines Widerspruchs zu erblicken; solcher Mißdeutung setzt gerade die Paeteldoktrin
sich furchtlos aus. Da ihr Nationalismus von der Rassentheorie, vom zoologischen Stumpfsinn
genesen und zu seelisch-geistigen Kriterien entschlossen scheint, da andrerseits ihr
Sozialismus - nicht als "Religion", aber als Prinzip ökonomischer Organisation
- ehrlich und echt ist (was sich in unzweideutiger Option für Sowjetrußland
zeigt, als bedingungslos zu schützende Vormacht der Zukunftskultur: ein Faktor,
an dem alle Außenpolitik zu orientieren sei), so würde nicht nur Böswilligkeit
dazu gehören, den Paetelkreis mit den Nationalsozialisten zusammenzuwerfen, sondern
auch Blindheit, zu übersehen, daß er in schärfstem Gegensatz zu ihnen
steht. Denn der Nationalismus der Nationalsozialisten ist dezidiert zoologisch und
ihr "Sozialismus" offen antibolschewistisch.
Nun hat die Kommunistische Partei Deutschlands, wie man weiß, seit etwa zwei
Jahren eine starke Wendung zum Nationalismus vollzogen ("nationale und soziale
Befreiung", "Volksrevolution", Scheringer), und die Frage liegt nahe,
was denn die "sozialrevolutionären Nationalisten" um Paetel von unsern
nationalrevolutionär gestimmten Kommunisten unterscheidet. Etwas sehr Wichtiges!
Nämlich, daß bei den Paetel-Leuten ein (durchaus willensechter) sozialistischer
Revolutionarismus frei von allem materialistischen Abrakadabra, sogar in bewußter
Opposition zur materialistischen Geisteskrankheit, auftritt - ein Punkt, in dem sich
die Sozialrevolutionären Nationalisten mit den Revolutionären Pazifisten
berühren und mit dem ISK. Die ideologische Grundlage des kommenden, verwirklichenden
Sozialismus Europas ist antimaterialistisch (Mut! neo-idealistisch); auch in Rußland
wird der Sozialismus auf Generationen lebensfähig nur dann sein, wenn er sich
von der materialistischen Basis löst. Man braucht bloß eine Rede Stalins
zu lesen, um festzustellen, daß er in Wahrheit längst dabei ist. Aber er
weiß es nicht. Alle Realisierungsschwierigkeit und -langsamkeit der sozialistischen
Bewegung, alle ihre Irrungen und Entzweiungen, aller Mißerfolg ihrer Propaganda,
all ihre deprimierenden Vergeblichkeiten (bei phantastisch chancenreicher objektiver
Situation: jeder dritte Deutsche erwerbslos!) beruhen auf der im Fundament falschen,
im Keim vergifteten sozialistischen Theorie. Das wußte als Erster Gustav Landauer;
in seinem Aufruf zum Sozialismus gab ers vor einundzwanzig Jahren kund; heute ist dies
Wissen (welches sich in einem Nebensatze nicht begründen läßt) schon
Gemeingut Vieler; sie sind die Vorbereiter des sozialistischen Aufschwungs von morgen.
Demnach stehen die Paetel-Sozialisten, so sehr sie vom Nationalismus, von etwas zu
Überwindendem, kommen, mit der Zukunft enger im Bunde als das marxistische Gros
- eine Tatsache, die uns verpflichtet, der Entwicklung dieser Gruppe mit erheblicher
Aufmerksamkeit zu folgen. Mit einer Aufmerksamkeit, versteht sich, die nur kritisch
sein kann.
Die Gruppe publiziert gegenwärtig in der Sozialistischen Nation', einem
unregelmäßig erscheinenden Blättchen, das Schwierigkeiten hat, weil
es Linie hat. Dünkel arrivierter Schöngeister, die auf gesicherten Tribünen
geistreich Halbverbindliches äußern, wäre dieser Erscheinung gegenüber
recht unangebracht. Ich empfehle Respekt vor einer von den notierten Doktrinen scharf
abweichenden, antivulgären Gesinnung, die ohne Konzession und Aufweichung ihres
Profils sich publizistisch durchzusetzen sucht.
Übrigens nicht die bisher erschienenen Nummern der Sozialistischen Nation'
sollen der Kritik zugrundegelegt werden sondern zwei Duodezbändchen, die Paetel
herausgab: Das geistige Gesicht der nationalen Jugend' und Sozialrevolutionärer
Nationalismus' (beide erschienen im Verlag Die Kommenden, Flarchheim in Thüringen).
Die erste der beiden Schriften führt die Scheidung von konservativem und sozialistischem
Nationalismus folgerichtig durch. Wir sind mit Paetel in der Ablehnung des konservativen
Nationalismus einig. Sein sozialistischer freilich, scheint uns, trägt noch Eierschalen
des konservativen am Flaum. Schaurige Expektorationen des grotesk überschätzten
Herrn Ernst Jünger werden zitiert, aber nicht abgelehnt. Etwa: "Der Krieg
ist ein Erlebnis des Blutes". "Was unsere Literaten und Intellektuellen darüber
zu sagen haben, ist für uns ohne Belang." "Er mag die Hölle gewesen
sein - nun gut, es liegt im Wesen des faustischen Menschen, auch aus der Hölle
nicht mit leeren Händen wiederzukehren." Ich werfe Paeteln vor, der schändlichen
Frivolität, die hier feixt, nicht Einhalt geboten zu haben. Es mußte, wenn
man so dreiste und seichte Sätze überhaupt abdruckt, unbedingt gesagt werden:
erstens, daß den Krieg der Umstand nicht rechtfertigt, daß er "erlebt"
werden kann, sintemalen auch Feuersbrunst, Lustmord und Raubmord erlebbar sind; zweitens,
daß Herr Jünger ja selber Literat ist und selber Intellektueller, wenngleich
kein sonderlich intelligenter; so daß seine These ihn selber ohrfeigt; drittens,
daß es keineswegs im Wesen des faustischen Menschen liegt, aus der Hölle
des Krieges überhaupt wiederzukehren. Wiederkehr ist ein Glücksfall und beweist
weder Heroen- noch Fausttum. Gewiß verdient Herrn Jüngers Bekenntnis Beachtung:
"Wir Nationalisten wünschen nicht zum zweiten Male mit dem Kapital in einer
Front zu stehen"; aber wenn er fortfährt: sein Kreis stünde "auf
der Seite des widerstandswilligen Proletariats", "um der Nation, nicht um
irgendwelcher humanitärer Beglückungsideen willen", so muß dieser
Antibeglücker, dieser ausgesprochene Unmensch gefragt werden, ob denn zu seinem
Ideal von Nation gehört, daß ihre Mitglieder glücklos sind. Ich plädiere
dafür, daß allgemein aufgehört werde, sadomasochistische Sublimationen
als Politik hinzunehmen.
Es erfreut, wenn Paetel ausspricht, daß die "rein haltungsmäßige
Bejahung des Sozialismus" "auch zu ganz bestimmten politischen Folgerungen"
führt, "zu Berührungspunkten mit linksrevolutionärer sozialistischer
Jugend" und "zu deutlichen Abgrenzungen gegenüber den politischen Einstellungen
des Bürgertums"; man applaudiert, wenn man liest: "Entscheidungen müssen
innerhalb der nationalen Jugend zweifellos fallen. Sie werden fallen müssen an
der Fragengruppe des Sozialismus" - aber zu dieser "Fragengruppe" gehört
auch die Frage des Kriegs. Sie ist, daran gibts kein Rütteln, mit einem prinzipiellen
(wenn auch nicht quäkerisch "absoluten") Nein zu beantworten. Von diesem
Nein fehlt in Paetels Schriften der Hauch eines auch nur fernen Klangs. Mit der "entschiedenen
Ablehnung des liberalistischen Individualismus" wird ja alles Freiheitsstreben
des Menschen gedrosselt, das Ewige, Heilige, Prometheische in uns, wird die seit Jahrtausenden
unter furchtbaren Opfern vorwärtsschreitende Emanzipation des Individuums gehemmt,
wird der Begriff des Kollektivismus über die ökonomisch-strukturelle Sphäre
hinaus reaktionär erweitert. Die Freiheit der Ausbeutung aufheben und die Freiheit
der Lebensgestaltung herstellen - das ist kein Widerspruch sondern ergänzt sich.
In wahrem Sozialismus ist wahrer Liberalismus enthalten, wahrer Individualismus erfüllt.
Weil der Manchester-Liberalismus die Freiheit Weniger durch die grausame Unfreiheit
der Meisten erkauft - ein Zustand, den die sozialistische Revolution beseitigen will
und soll -, darum ist Freiheit (jenseits der Wirtschaft) längst nicht erledigt.
Wenn Lenin sie ein bürgerliches Vorurteil gescholten hat, so beweist das vielleicht
etwas gegen Lenin und die Zulänglichkeit seines Philosophierens, es beweist nichts
gegen die Freiheit. Wir werden uns von dem modernsten Schimpfwort "liberalistisch"
nicht ins Bockshorn jagen lassen; wohlgemerkt: als Sozialist sag ich das! Als Sozialist,
der weiß, daß Liberalismus ein Doppelgesicht hat; das vordere (kulturelle)
bleibt zu liebkosen, auch wenn das hintere (ökonomische) zu züchtigen ist.
Man darf sogar sagen, daß erst die Negation des ökonomischen Liberalismus
den kulturellen zur Verwirklichung bringen kann. Erst der Welt-Sozialismus, zum Beispiel,
wird den Welt-Frieden schaffen: die Belehnung aller Individuen mit dem Recht auf Leben.
Deswegen ists in der Ordnung, wenn - in dem zweiten dieser Bändchen (einer Sammelschrift)
- Heinz Gollong seiner Gruppe rät, sich keineswegs zu rühmen, "den Pazifismus
überwunden zu haben"; womit er ihm freilich kaum ein Lob erteilen will. Doch
er bleibt unüberwindlich! Daß Menschen einander nicht mehr töten sollen:
in Ewigkeit sittliches Ziel. Es erkennen und ihm entgegenschreiten - nichts andres
ist Pazifismus. Ihr könnt die Träger dieser Idee berennen (ich helfe in manchem
Falle); die Idee nicht. Die Idee nicht, ohne euch einer Sünde wider den Geist
schuldig zu machen. Gerade ihr müßtet begreifen, daß an der Verewigung
des Tötens zu arbeiten irreligiös ist. Ihr müßt also auch aufhören,
euer Nationalbewußtsein mit einem "einschränkungslosen Bekenntnis zur
Wehrhaftigkeit" zu identifizieren, wie Gollong das leider tut - sonst der feinste
Kopf dieses Kreises.
"Wehrhaftigkeit" gegen wen? für wen? für was? ein "einschränkungsloses
Bekenntnis"? im Zeitalter des staatlich organisierten Massenmords durch Giftgas
und Bakterien? Es liegt wohl Lebensvolles und Schönes darin, mit dem Blut zu denken,
mit den Muskeln zu denken, mit den Hoden zu denken; man soll aber, schlag ich vor,
nicht ganz darauf verzichten, auch mit dem Gehirn zu denken. (Jüngstes, das ich
von Gollong las, beweist, daß gerade er dies vorbildlich kann. Rapide Entwicklung!
Übrigens verließ er die Paetelgruppe.)
Ein prachtvolles Wort steht in dem Büchlein: "Ja manchmal will uns scheinen,
als hätte die Nation ... weniger wirkliche Werte verloren und mehr wirklich Wertvolles
gewonnen, wenn Liebknechts schäumende Heftigkeit und sein Einfluß auf die
Massen und das Ausland an leitender Stelle sich hätte auswirken können. Wenn
sich der Kern der Intelligenz entschlossen auf seine Seite warf, wenn das Offizierkorps
im Antimilitaristen die Kampfesnatur erkannte, hätte sich die chaotische Zeit
schnell überwinden und zur Volkserhebung umbilden lassen." Wer solche Sätze
druckt, hat nichts mehr gemein mit dem Mordpack, das Jenen fällte.
Ausgezeichnet klar Karl Baumann (linker Flügelmann): "Ablösung der kapitalistischen
Ordnung durch den sozialistischen Aufbau. Die Verteidigung dieses Aufbaus mit allen
Mitteln nach innen und außen." Das ist eine eingeschränkte "Wehrhaftigkeit",
und zwar eine richtig eingeschränkte. Vorzüglich gedacht auch dies: "NSDAP
und KPD heben durch ihren Kampf untereinander ihre Kraft auf. Ihr Kampf gibt dem Bürgerstaat
und der Bourgeoisie das Gleichgewicht." (Dieser Baumann soll neuerdings zur KPD
abgeschwenkt sein. Gewiß nicht er nur. Auch zu Hitler wird mancher sich inzwischen
gerettet haben. Die Fluktuation der Personen besagt nichts gegen den Wert der Gruppe,
solange sie in einer Führerpersönlichkeit den ruhenden Pol hat.)
Georg Osten, Rolf Becker, Fred Schmidt - auch sie arbeiten hier an der Herausmeißelung
der reinen Dualität der Klassenfronten; obschon Einigen von ihnen der Klassenkampf
ganz offenkundig nur Mittel zum Zweck der nationalen Befreiung ist und ihre Verbindung
mit dem proletarischen Revolutionarismus mehr einer Verstandes- als einer Liebesheirat
gleicht. Scheringer - für dessen Befreiung ich manifestiere, auch wenn ich seine
Meinung nicht teile - schrieb am 8. 4. 31 an den Generalleutnant Dieterich: "Es
gilt, die revolutionären Kräfte des Volkes zu sammeln, die Armee der Arbeiter,
Bauern und Soldaten zu formieren und den Befreiungskrieg über die Trümmer
der Weimarer Republik nach Westen zu tragen." Dies Bekenntnis eines Kommunisten
geht, was seinen Gehalt an offensivem Nationalbellizismus anlangt, immerhin erheblich
hinaus über die saftigsten Sätze des Paetelbreviers.
Dieses (abgerechnet die Schwafler und Glibberer: F. Wulf, Alwiss Rosenberg) bleibt
die Kundgebung redlichen Ringens jugendhaft-feuriger, jugendhaft-ernster Naturen ...
um den rechten Weg, nämlich den linken.
All das ist noch unfertig, wird noch, wächst noch. Unsereiner soll da, scheint
mir, ohne Hochmut helfen; soll an Menschen, die selber zu denken gewohnt und, im Gegensatz
zu den Marxklerikern, den Gedanken Andrer geöffnet sind, keine gebosselten Dogmen
herantragen: friß, Paetel, oder stirb! Nein, so nicht; sondern: (ohne Kompromiß)
in Kameradschaft diskutieren. Befürworte ich eine irenische Aufweichung unsres
Kämpferknochengerüstes? Wers glaubt, wird selig. Aber von Zeit zu Zeit empfiehlt
sich, allerseits, eine Revision der Riten. Und man vergesse nie, zu forschen: wo steckt
im Gegner der Freund? Ich fühle mich Jedem brüderlich verbunden, der sich
als rein, wahrhaftig, unabhängig, unbestechlich, als Diener am Geiste erweist;
der aufrecht, doch unstarr schreitet, weil er an keine versteinerte Doktrin gefesselt
ist; der den Klassenkampf auf der Seite der unterdrückten Klasse kämpft,
vielmehr diese Klasse aus ihrer Zerklüftung zur Einheit, zu wirklichem Kampfe,
zum Siege zu erlösen strebt; der aber weiß, daß der Prolet noch andres
ist als Prolet, daß es heilige Ziele gibt noch jenseits des Klassenkampfs.
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