"Deutschlands bester Prosaschriftsteller"

Luzide Sprache, angereichert mit "Musik" und Humor

"'Handeln, nicht schreiben!' lautet ein beliebter Mahnruf derer, die weder eins noch das andere tun."

"Wann endlich werden die Menschen guten Willens die Macht haben, die Menschen bösen Willens in Schach zu halten? Hier starrt uns DAS staatsrechtliche Problem des kommenden Jahrtausends an ..."

"Der Pfau spreizt sich; gewiß; aber er hat auch etwas zu zeigen. Die Krähe, die ihn deshalb ankrächzt, nicht!"

"Die Leute die Schlimmes mitmachen, um 'das Schlimmste zu verhüten', vereiteln das Gute. Vom Schlimmsten ist der Weg zum Guten nämlich näher als vom Gemäßigt-Schlimmen."

"Es ist heute ganz risikolos, sich zu Kerr zu bekennen. Noch 1911 war das ein wenig anders. Den Kahn [Kritiker Harry Kahn], der ihn damals zu rammen suchte, hab ich in den Grund gebohrt; nur ein paar Planken davon schwimmen seitdem noch herum. Es war mein Eintritt in die Kriegsflotte der Litteratur - diese Torpedierung, und ich gedenke des Akts mit Wonne. Haßhandlungen aus Liebe sind, in der Erinnerung, oft herrlicher als Liebesakte; schöner noch, als zu den Göttern zu beten: den zu verprügeln, der ihre Bildsäule beschmutzt hat. Kerr depeschierte mir damals, er sei mein Freund; das Telegramm blieb mir Reliquie."

"Hunger nach Bachscher Musik ist gewiß ein edlerer Trieb als der Hunger; aber wir können den Hungernden nicht mit den Herrlichkeiten Bachs sättigen oder gar mit dem diätetischen Ratschlag abspeisen, sich zu ihnen emporzuziehen, da die Form seliger mache als der Stoff. Der Bachhungrige, enthalten wir ihm die Musik vor, wird leben; der Hungernde, bleibt sein Trieb ungestillt, muß verrecken ... und kann in seiner Seele, auch falls ihr Rang es tausendfach zuliesse, nie das Erhabene mehr verwirklichen, das dem Verächter des Banalen einzig gilt. Solange demnach Menschen hungern müssen (aber keineswegs nur um Hunger handelt es sich), ist ein Konzert oder ist eine Vorlesung über die Metaphysik der Fuge, streng genommen, ein rohes und gemeines Verbrechen, - ja, auch ein Konzert, es sei denn, dass es die Hörenden bereiter macht zur Beseitigung des Elends der Hungernden: nicht durch Wohltätigkeit, sondern durch Umsturz. - Wie? Kleine Paradiese, mitten in der Hölle errichtet, mildern die Qual der Verdammten? Schon gut; wenn nur die Errichter über der Errichtung nicht das Löschen der Flammen verabsäumten!"

"Diese Welt ist weder die schlechteste noch die beste; zu solchem Urteil würde uns die Erfahrung fehlen: wir können keine zweite Welt vergleichsweise heranziehn. Folglich hat der Pessimismus so unrecht wie der Optimismus; und zutreffend bleibt allein der Meliorismus - die Lehre, nein, nicht die Lehre, sondern der Vorsatz: die Welt besser zu machen, als sie ist."

"Bevor ich [Kurt] Schumacher sah, hatte ich gewußt, wer er war; die Richtigkeit der Vorstellung wurde durch das Erlebnis bestätigt. Nicht die Ruine (ein Arm nur noch und ein Bein), diese für das Deutschland der Anfangsjahre nach Mai 45 phantastisch bezeichnende, phantastisch symbolische Ruine erschütterte so stark wie die ungeheure, unvergleichliche Glut des Schöpferischen, die in einer durch den Wahnsinn der Zeit fast völlig zerstörten Schale brannte. Hier war Radikalität und Maß, härtester Wille bei tiefster Einsicht, aus eisigstem Bewußtsein der Todesnähe vollkommene Gleichgültigkeit gegen Feindschaften, private Nachteile, Selbstgefährdung, hier war, bei allem "Realismus", der Diametralpunkt zu jeglichem Opportunismus, auch ein kaum verhehlter Haß auf das Opportunistengezücht, zugleich Urliebe zu allen Unterdrückten, hier war Wissen, eine ungewöhnliche Denkkraft, ein System sauberster geistiger Instinkte, Staatsmannstum obersten Ranges. In mir kam neben einem Mitleidsbeben, das ich indes als zu kindlich oder zu spießig verwarf, und außer klarer Zustimmung in allem Grundsätzlichen und manchem Ungrundsätzlichen eigentlich ein Gefühl nur auf: das der Ehrfurcht. Jawohl, Kurt Schumacher ist, seit Bismarck, Deutschlands größter Staatsmann gewesen; die Tatsache, daß ihm nicht vergönnt war, als Kanzler dies positiv-konkret zu beweisen, ist die Tragödie."

"Bücher liest man in Deutschland nur, falls sie Zustände beschreiben; nicht falls sie welche bekämpfen. Lyrik, Historie, Psychologie liest man; kaum (in Buchgestalt): Politik, Pamphlete, Forderndes."

"Mißtraut allen denen, die erst der Krieg darauf gebracht hat, gegen den Krieg zu sein."

"Der Begriff Führer hat nicht aufgehört, aus Gold zu sein, weil sich einer mit kotigen Fingern seiner bemächtigt hatte."

Hiller im Prager Exil zur Wahl Beneschs als Nachfolger von Masaryk als Staatspräsident: "Glücklich zu preisen dies alt-junge Volk der Tschechen und Slowaken, das nun zum zweiten Male schon, kraft Fügungen, über die nachzudenken sich lohnt, es fertig gebracht hat, aus sich heraus an die Spitze diesen Typus zu stellen: den Geistmann, den Humanitär, den großen zielklaren, dabei weltnahen Intellektuellen, den Aktivisten der feuerentflossenen, denkerisch ausgekühlten Güte. Beneidenswerte Nation, deren Haupt ein Kopf ist!
Heimat - was ginge über Heimat. Aber lieber als Fremdling unter einem Volke leben, das seine Geistigen achtet und dessen Mehrheit sich dem Geist freudig unterstellt, als in einem Vaterlande, wo die Köpfe nichts gelten und niemand mit ihnen etwas anzufangen weiß, es sei denn der Henker."

"Alle Religionsstifter, Propheten, großen Philosophen, Parteiengründer, Staatsdestruktoren und -schöpfer waren 'politisierende Literaten'. Ihr Ziel: die Änderung im Raum; ihr Weg: das Wort."

"Hat ein Volk Geist? - Streitfrage. Wenn doch der Geist nur endlich ein Volk hätte!"

"Bildliche Darstellung eines oft erlebbaren Vorgangs: Der Kreuzberg konstatiert höhnend und hochgemut, daß der Montblanc um Tausende von Metern niedriger ist als der Gaurisankar."

"Gewiß, der Zweifel ist der Anfang aller Philosophie. Sie kann sich aber begraben lassen, soll er auch ihr Ende sein."

"Warum zögern die Staaten immer noch, die allgemeine Denkpflicht einzuführen? Ein halbes Jahrhundert nur: und sie würden der allgemeinen Wehrpflicht entraten können."

"Ohne gebesserte Menschen werden wir die Welt nicht ändern können, und ohne geänderte Welt wird es schwer gelingen, die Menschen besser zu machen. Fangen wir also an beiden Enden zugleich an!"

"'Aus der Geschichte lernen.' Lernen können wir aus der Geschichte nur eines: Sie wurde von Leuten gemacht, die sich um die Geschichte nicht kümmerten."

"Wir sind nicht gegen den Staat, wie die Anarchisten; wir sind gegen den schlechten Staat."

"Die Leutchen wollen von jeder Bewegung, bevor sie sie achten können, den Erfolg sehen, aber nichts dazu tun, ihn herbeizuführen."

"Philosophie, ihrer Idee nach Geist, ja geistigster Geist, nämlich Quintessenz allen Geistes -: wie empörend haben die Eingesetzten diese edle Essenz zu verfälschen, zu welch ekler Flüssigkeit haben 'Fachphilosophen' sie zu denaturieren beliebt! Es ist da seit Schopenhauer nicht besser, eher schlimmer geworden. Der Lehrstuhldenker - sofern er überhaupt mehr tut als unzulänglich das nachzudenken, was Denker ihm vorgedacht haben - benagt sein Sonderproblemchen und steht vor entscheidenden Fragen ahndevoll wie ein Tuchagent."

"Ist Ethik die Lehre davon, wie der Mensch handeln, nach welchem Gesetz er sich entscheiden soll, dann gibt es keine "wissenschaftliche", das heißt mit nachweisbarer Objektivität und Allgemeingültigkeit ihrer Normen ausgestattete Ethik, sondern nur eine vom Willen dekretierte. Dieser Wille muß durchaus nicht ein bloß subjektiv-individueller, er kann vielmehr der typische Wille des verantwortlich fühlenden, des geistigen Menschen sein, des Menschen mit der großen Ich-Erweiterung."

"Wort und Tat schließen sich keineswegs aus. Eine Tat kann aus Worten bestehn, ein Wort kann Tat sein. Das Wort, das hinter der Tat herhumpelt, ist keine; wohl das Wort, das ihr voraneilt. Es bleibt sogar Tat, falls die Tat zögert, zu folgen. Die Encyclopédie, in der Mitte des achtzehnten, dieses liebenswertesten Jahrhunderts, wäre auch Tat gewesen, wenn sein Ende nicht das gebracht hätte, was es gebracht hatte."

"Vor aller Schöpfung war die Nacht. Weit geheimnisvoller als die Nacht ist also der Sonnentag. Das Licht ist das Wunder, nicht die Finsternis. Die Klarheit der Vernunft ist viel magischer als das mystische Dunkel."

"Der Schriftsteller hat sich nach seinem Gewissen zu richten, seinem denkerischen und seinem künstlerischen, einzig nach ihm, und nicht nach wahrscheinlichen Wünschen voraussichtlicher Leser, nicht nach dem Komment irgendeines wirklichen oder möglichen Publikums. Ein Schriftsteller taugt nichts, dem der Vorsatz fehlt, Erzieher seiner Leser zu werden; Leser haben sich also prinzipiell nach dem Autor zu richten. Natürlich dürfen sie ihn ablehnen, dürfen sie sich weigern, in jedem Einzelfall sich von ihm, just von dem da, erziehen zu lassen, nur wären sie Komiker, wenn sie behaupteten, daß er sich seinerseits ihnen als seinen Erziehern zu unterstellen, daß er, der Autor, 'sich nach dem Publikum zu richten' habe."

"Jedesmal, wenn ich einen Mystiker lese, habe ich das Gefühl: Dieser Mann weiß ein Mittel, den Tod zu umgehen. Wenn er dann doch stirbt, sage ich mir immer: Wozu erst die geheimnisvollen Gebärden? - Infolgedessen kommen tote Mystiker gar nicht für mich in Betracht."

"Die Positivisten, will sagen jene Philosophierer, die den Geist durch Fakta, alles Nachdenken durch Sammeln, das Menschliche durch das Hamstrige ersetzen wollen, sind eine besonders gerissene Sorte von Betrügern. Sie hintergehen uns durch Vorspiegelung wahrer Tatsachen."

"Voltaires Grabmal in den Kellern des Pantheon trägt die Inschrift: 'Den Manen Voltaires. Die Nationalversammlung hat am 30. Mai 1791 beschlossen, daß er die Ehren verdient hat, die den großen Männern gebühren (qu'il avait mérité les honneurs dûs aux grands hommes).' Hieran erscheint mir dreierlei interessant: einmal, daß die revolutionäre Demokratie von 1791 den Begriff der Größe kennt; sodann, daß sie glaubt, der Größe gebühre Ehre; schließlich, daß sie für zuständig, zu entscheiden, ob Jemand groß sei oder nicht, die Mehrheit hält."

"Mich boykottieren die Pazifisten, weil ich ihnen zu kommunistisch bin. Mich boykottieren die Kommunisten, weil ich ihnen zu pazifistisch bin. Mich boykottieren die Sozialdemokraten, weil ich ihnen beides: zu kommunistisch und zu pazifistisch bin. Da kann man verhungern. Nur wer Geld hat, darf sich in Deutschland den Luxus leisten, in politicis ein unabhängiger Kopf zu sein. Freilich, wer es hat, der ist dann wieder ... von seinem Gelde abhängig!"

"Jeder Fortschritt in der Menschheitsgeschichte war, bis er ertrotzt wurde, als Utopie verleumdet. Man stempelt eine mißliebige Idee lächelnd zur unvollziehbaren, um dann, sobald sie vollzogen, hochmütig zu erklären, man selbst habe sie im Grunde ja immer gewollt. Der hämische Verzögerer möchte hinterher niemand gewesen sein - besonders derjenige nicht, der sich schon anschickt, einer neuen Idee die Bahn zu verlegen."

"Der Sinn des Lebens ist der Natur nicht entnehmbar, der Erfahrung nicht gegeben, durch reine Vernunft nicht zu ermitteln. Sinnlosigkeit tötet. Rädchen im Getriebe spielen, in irgendeiner Tretmühle stehn, schuften, damit man wenigstens vegetieren kann, - das mag betäuben, das mag unvermeidlich, ein unentrinnbarer Zwang sein, aber es klärt die Frage nicht; der Sinn des Lebens kann nicht in dem Unternehmen liegen, die Mittel zum Leben schwitzend herzustellen."

"Nietzsche ist ein Heroenbild, vor dem zu knieen keine Selbsterniedrigung darstellt; aber man hat nicht nur zu lernen von ihm, nicht nur sich befeuern zu lassen durch ihn, nicht nur zu beten vor ihm - man hat ihn auch zu verteidigen; und besonders gegen seinen eignen Klerus."

"Ein Staatsmann war Nietzsche natürlich nicht, so wenig wie Platon einer war (wenn dieser auch versucht hatte, es zu sein); aber er war ein Politeia-Denker, ein Politosoph wie Platon - entwicklungsjünger, gestufter, komplizierter als Platon, wohl an Widersprüchen reicher als Platon, doch in seinem aristokratischen, logokratischen Kern-Ethos keinem großen Denker der Menschheit derart verwandt wie Platon. (Ich schweige dabei von der unerhörten konstitutionellen oder charakteriellen Verwandtheit zweier Genies des Denkens, bei denen Erleben und Denken, das Künstlerische und das Logizistische, Herzblut und Hirnkraft, Seele und Geist, Form und Gehalt so sehr Eines waren oder wurden wie gerade bei diesen beiden.)"

"'Das, was ist, zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das, was ist, ist die Vernunft.' Dieser Ausspruch, Damen und Herren, stammt aus keinem Parodien-Atelier; dieser Ausspruch ist von Hegel. Es ist der Schwertstich durch alle Ethik, es ist der konservativste, der schmierigste Satz der Weltlitteratur."

"Der revolutionäre Sinn der ewigen Humanitätsidee muß nicht immer von neuem entwickelt werden. Ein deutscher Emigrant, der ihn nicht erfaßt hat, ist unbelehrbar. Engelszungen würden hier nichts fruchten. Wir wollen die Engel für aussichtsvollere Fälle engagieren."

"...wenn just in dem Punkte, in dem kein Lebender mich übertrifft und nur sehr wenige mich erreichen: in deutscher Prosa (erörternder), Menschen gleicher Kampffront quängeln, statt dankbar zu sein, dann kann ich allerdings fuchsteufelswild werden - nicht um meiner (mir verhältnismäßig gleichgiltigen) Person willen, sondern bei Gott um der Sache willen!"

"Die kältesten Länder haben die besten Öfen. In Italien friert man winters - in Skandinavien nicht. So haben wohl auch die in ihrem Durchschnitt geistfernsten Völker die größten Philosophen. Und vielleicht ist die unvergänglich kanonische Pracht der antiken griechischen Plastik der Beweis, daß die Hellenen ursprünglich das häßlichste Volk waren."

"Grosse Mode: Biographiebücher über Ganzvergangne, die uns wenig angehn. Die eine geringe, bedeutendere oder gewaltige Rolle in der Geschichte gespielt haben, aber uns wenig angehn. Die, so verrucht, so anbetungswürdig sie gewesen sein mögen, uns wenig angehn, weil wir den Weltlauf nicht von der Steiß-Seite betrachten wollen, ja, ihn überhaupt nicht betrachten wollen, sondern ihn vorneweg im Marsch durch die Tat bestimmen wollen. Diese modernsten, ach so altmodischen Bücher über Dschingiskhan, Cicero, Sophie la Roche, Ramses, Torquemada und Pippin den Kurzen beweisen vielleicht den Fleiß, die Kunst, die historiographische Gestaltungskraft ihrer Verfasser und beweisen bestimmt deren geistige Impotenz, falls nicht sogar ihren bösen Willen, nämlich ihren Vorsatz zur Nicht-Teilnahme an der gigantischen Aufgabe, die uns gestellt ist: die Völker aus einer Gesellungsform, die sie ins Elend treibt und vernichtet, in eine gesündere, gerechtere, menschlichere, leidverringernde, kurz in eine vernünftigere hinüberzuführen. Heißt diese Aufgabe Revolution, dann ist jene Mode konterrevolutionär und eine Seuche. Es wird Zeit, auszusprechen, daß sie das ist, und sie mit den Mitteln, über die der Kultur-Arzt verfügt, zu bekämpfen. Sie hat ihre Reize, sicherlich; Morphinismus, Kokainismus haben ihre auch. Die Nachteile überwiegen."

"Karl Kraus lebte von 1874 bis 1936. Im Frühling begann er zu atmen, im Frühling starb er; das Klima seiner einsamen Höhe war winterlich. [...] Er zog an, kann man sagen, durch Abstoßung. Er stieß mit einer Wucht heiligen Hasses gegen würdevolle Dummheit und polierte Halbbarbarei, gegen die Wichtigtuer und Pfründner der Scheinkultur vor, wie dies seit Geschlechtern nicht geschehen war; er beschwor damit gegen sich die Verschwörung des Bildungspöbels, der Halbwelt des Geistes herauf, jene von Schopenhauer mit ewigen Worten beschriebene unvermeidliche Verschwörung, deren vergiftete Waffe der vorsätzlich verzerrende oder bagatellisierende Report, die verleumderische öffentliche Herabsetzung ist, überboten an Niedertracht nur durch die des Totschweigens, wider bessere Erkenntnis. Beide Waffen erhoben sich stets von neuem gegen Karl Kraus; beide Waffen schlugen ihn nicht; sie gaben ihm die Kraft, seine Kampfkunst zu steigern, die Gelegenheit, umso herrlicher zu fechten; und der Glanz dieses Solo-Fechters (gegen fast Alle), welcher der Hydra einen Kopf nach dem andern, soviele ihr auch nachwuchsen, mit verbissener Anmut abschlug, zog die besseren Menschen, die Elite der Jugend Mitteleuropas, mit einer Macht an, für die auf lange Zeit hinaus Kraus das einzige Beispiel sein wird."

Zum Freitod von Ernst Toller 1939: "Müßig für uns, seine Kameraden, zu sinnieren, warum er uns verlassen hat. Selbst bei primitiven Naturen unter Denen, die den Tod freiwillig wählen, kann 'das Motiv' ein Knäuel von Beweggründen sein; geschweige bei verwickelteren Naturen. Eine vielleicht harmlose und vorübergehende Krankheit, ein gar nicht so gewichtiges Liebesproblem, eine Paß-Schikane, die lächerlichste Bagatelle kann zu jenem Tropfen werden, der das Faß der Enttäuschung überlaufen läßt. Und außer den beruflich-wirtschaftlichen Enttäuschungen, die er erlitt und die ihn schwerer trafen als die Meisten, weil er nunmal, als ein von den Zephyren des Erfolgs früh Umfächelter, hohen Daseins-Stil gewöhnt war, prasselten ja gerade in den letzten Monaten vom Geistigen, vom Politischen, von seiner Lebenswesentlichkeit her die fürchterlichsten Schläge auf ihn nieder ... wie auf uns alle. Wie mögen die jüngsten Ereignisse in Spanien (das er besucht und für das er viel zu tun sich bemüht hatte), wie die in Böhmen, wie mag der Sturz Litwinows auf ihn gewirkt haben - des Staatsmanns der kühnen und kühlen humanitären Ratio, welchen er umso ernsthafter schätzte, je mehr er selber der Dichter des humanitären Schwunges war. Man begreift, daß einer heute fühlt: 'Es hat ja doch alles keinen Zweck mehr.' Daß jemand sich das sagt und danach handelt."

Brief Hillers an Egmont Seyerlen (Farussi) von Anfang 1914.

(durch Klick vergrößerbar)

Im Besitz des Deutschen Literaturarchivs/Schiller-Nationalmuseum, Marbach am Neckar, Handschriftenabteilung

Unser herzlicher Dank geht an das DLA für die Publikationsgenehmigung

Widmung Hillers an Walther Karsch, einem Weggefährten von der "Weltbühne".

In einem Exemplar des Buchs "Der Sprung ins Helle"

Zur Autographen-Suchmaschine KALLIOPE der

Staatsbibliothek zu Berlin. Preussischer Kulturbesitz

Weitere Schmankerl aus Briefen Hillers

"Über die Frage: lieber lange oder kurze Sätze? ließen sich viele kurze und lange Sätze schreiben. Ich bin ein Freund beider. Zur Verteidigung der langen möchte ich anführen, daß gewisse logische Zusammenhänge in wohlkonstruierten Perioden klarer zum Ausdruck kommen als in abgehackten Kurzsätzen, die nebeneinandergestellt sind und auf das syntaktische Abbilden logischer Abhängigkeiten verzichten müssen - ich meine: darauf verzichten müssen, ein solches Abbild zu sein. Wenn Sie mir einen einzigen meiner Sätze seit, sagen wir, 1922 zeigen können, der ohne Verlust an logischer Deutlichkeit sich in mehrere kürzere auflösen ließe (es sei denn, daß der Gesamtumfang erheblich wüchse!), dann will ich Hegel heißen!"

Aus Brief KH an Willi Eichler (Vors. des ISK), 5.12.1936, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn.

"Sie können sich denken, daß ich kein Sammelsurium und Zufallszusammengewürfle herausbringen möchte, sojenannte jesammelte Uffsätze, sondern ein repräsentatives Werk, mit klarer innerer Linie, in sich ausgerundet, aus einem Guss - trotz seiner Vielfalt."

Aus Brief KH an den Genossen Sommer, Mitarbeiter des ENI-Verlags, in dem sein Buch "Profile" 1938 erschien, 6.7.1937, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn.

"... schluckt man einen Groll herunter, vergiftet man sich seine Säfte - was ich prinzipiell vermeide. Ich wünsche, zeit meines Lebens ein Raufbold zu bleiben; aber ich möchte mein Lebtag kein Giftbold werden."

Aus Brief KH an Hans Wehberg, organisierter Pazifist und Herausgeber der "Friedens-Warte", 16.1.1926, Bundesarchiv Koblenz.

"Auf meine sehr bissige Kritik vom 11/XI reagiertest Du äußerst mild und freundhaft. So bist Du. Und das ist einer der Gründe, weswegen Du mir so teuer bist und immer bleiben wirst."

Aus Brief KH an Kurt Englich, 22.12.1939, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn.

"Ich verleugne meine große Zehe nicht; aber wer sie photographiert und das Photo als mein Porträt ausstellt, darf nicht erwarten, daß ich dies Unterfangen als Surrealismus ästimiere. Ich wäre eher geneigt, es für naseweis zu halten."

Aus Brief KH an Walter A. Berendsohn, 4.7.1947, Exilarchiv der Deutschen Bibliothek, Frankfurt.

"Sieben Achtel meiner Lebenskorrespondenz bezieht sich auf Druckfehler. Am Druckfehler sterbe ich noch mal".

Aus Brief KH an Friedrich Markus Huebner (Zeit-Echo), 24.2.1915, Deutsches Literatur-Archiv, Marbach.

"Am Kampf aller Anständigen gegen die Einrichtung KRIEG teilzunehmen mute ich einem Erleuchteten wie Ihnen sowieso nicht zu."

Aus Brief KH an Hans Kudszus (Autor eines Artikels über Pazifismus im Tagesspiegel), 2.8.1953, Institut für Zeitgeschichte, München.

"KH als 'Diplomat', das ist, wie wenn eine Tigerin sich gelassen melken ließe, als wäre sie eine Kuh."

Aus Brief KH an Klaus Täubert, 1.4.1969, Handschriftensammlung Monacensia der Stadtbibliothek München.

"Für den Eunuchen ist die Keuchheit kein Ruhm."

Aus Brief KH an Fritz Heine, 18.4.1947, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn.

"Ein persönlicher Angriff läge z.B. vor, wenn ich schriebe: 'Y., der bekannte Formaldemokrat und Fußschweißfetischist'; oder: 'Z., der berühmte Individualanarchist, dessen Teelöffeldiebstähle noch in frischer Erinnerung sind'; oder: 'Sch., der hochschultrige Neuhegelianer mit dem plombierten Jaguargebiß, den ich unlängst am Arm einer Kokotte siebenundzwanzigsten Ranges im Scheunenviertel traf'."

Aus Brief KH an Hans Wehberg, 9.5.1926, Bundesarchiv Koblenz.

"Atem-Ausdauer ist etwas Angenehmes, jedoch für Denk-Dinge kein Kriterium."

KH-Äußerung laut Kasimir Edschmid in dessen Buch "Lebendiger Expressionismus", wobei er KH als "Diskussions-Pinzette" jener Jahre bezeichnet.

"... ich fürchte, Sie ahnen noch gar nicht, was für ein Leichenschänder, Landesverräter und subversives Element ich bin."

Aus Brief KH an Erich Ebermayer, kurz nach Aufnahme des Briefwechsels, 4.3.1925, Stadt- und Landesbibliothek Dortmund.

"Österreichische Staatsangehörige sind natürlich ausnahmslos doppelzüngig."

Aus Brief KH an Egmont Seyerlen, 12.12.1913, Deutsches Literatur-Archiv, Marbach

"Es wäre im Hellas-Sinne sicher richtiger, diese freien Stunden meinen schönen Hanteln zu widmen, um mit siebzig Jahren endlich so auszuschaun, wie sichs mit siebzehn gehört hätte; aber die [Brief-]Markenleidenschaft ist doch größer als der Autoerotismus (außer im Lenze, vielleicht), und so falle ich denn als Opfer einer im aktivistischen Sinne impotenten Selbstkritik."

Aus Brief KH an Erhart Löhnberg, 3.11.1946, Exilarchiv der Deutschen Bibliothek, Frankfurt

"Und stilistische Sachen machen Sie oft, daß einem die Haare, hätte man sie, zu Berge stünden. Handwerk, Horatio! Handwerk!"

Aus Brief KH an Egmont Seyerlen, 4 bis 5 Stunden vor 1914, Deutsches Literatur-Archiv Marbach

"Jeder Knecht, der zur Macht kommt, wird Tyrann. Also sollen nur Freiheits-Herren zur Macht kommen! Aus allen Klassen, zum Beispiel der Arbeiterklasse, der Typus Freiheits-Herr. (Der Ressentimentfreie, Unkleinbürgerliche, innerlich wahrhaft Klassenlose, Ideenstolze.)"

Aus Brief KH an Kurt Englich, Silvester 1942, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn

"Je duldsamer man sich gegen das Barbarengesindel benimmt, desto unverschämter wird es."

Aus Brief KH an Klaus Mann, 3.12.1936, Handschriftensammlung Monacensia der Stadtbibliothek München

"Sie schreiben in Ihrem Briefe (und glauben damit besonders höflich zu sein), Sie hätten 'keinen Grund und auch keine Neigung', mich 'zu belehren'. Ich, meinerseits, habe Grund und habe Neigung. Denn ich bin zwar weniger höflich als Sie, aber ein besserer Kamerad."

Aus Brief KH an Willi Eichler, 13.8.1941, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn

"Wenn jemand 'Rindvieh!' zu mir sagt, bin ich nicht böse; empfindlich bin ich aber gegenüber jener dezidierten Nichtachtung, die sich durch Nichtbeantworten höflicher Briefe, gar Fragebriefe, ausdrückt."

Aus Brief KH an Erich Ollenhauer, 4.12.1945, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn

"Am Richtig oder Falsch, Gut oder Böse seiner Taten ändert der Tod - sogar der Märtyrertod - eines Menschen nichts. Nicht Messiasse nur, auch Schächer werden gekreuzigt. Das Kreuz ist kein Argument für die Verehrungswürdigkeit des Messias; sonst müßte auch der Schächer verehrungswürdig sein. Auch kein Argument für die Richtigkeit seiner Lehre; dafür gibt es ganz andre Argumente! Sollte Hitler demnächst von Rasenden zertrampelt werden (ich glaube es nicht!), so würde seine bösartig-verschrobene ‚Ideologie' dadurch nicht plötzlich zur Erzengelsbotschaft."

Aus Brief KH an Hans Vogel, 18.9.1944, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn

"Ich bin der Leitende und die unumstrittene Erste Autorität meines kleinen Kreises, aber nicht sein Diktator. Ich darf das weder sein, noch mag ichs sein."

Aus Brief KH an Kurt Englich, 22.11.1945, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn

"Ich werde jede Tribüne besteigen, von der aus mir erlaubt ist, das zu sagen, was mir wesentlich erscheint. Vielleicht kompromittiere ich den Nachbar-Autor, niemals er mich. Das Blatt [Die Zeitung, London] ist ziemlich rechts; umso wichtiger für die Gesamtlinke, daß ein Linker dort sprechen kann."

Aus Brief KH an Willi Eichler, 20.4.1941, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn

"...nach dem zu frühen Tode Kurt Schumacher's ist die Wahl Eisenhower's durch den Pöbel aller Klassen der USA die zweite Tragödie der zeitgenössischen Menschheit."

Aus Bf. KH an Erhart Löhnberg, 5.11.1952, Exilarchiv der Deutschen Bibliothek, Frankfurt

"Daß meine Schwedin nicht etwa 13 gezähnt ist, sondern 14 - dafür garantiere ich und biete für den Fall, daß ich mich geirrt haben sollte, meine Gesamtbibliothek an, das Original eines langen tintegeschriebenen Freud-Briefs an mich, Großbritannien No 1 auf Ganzbrief und ... daß ich Hegelianer werde."

Aus Bf. KH an Kurt Karl Doberer, 3.5.1970, Exilarchiv der Deutschen Bibliothek, Frankfurt
[die Zähnungsangaben beziehen sich auf Briefmarken]

"Schönen Dank für den Gruß aus Meran (wo ich mal 14 Tage lang gewesen bin, vor kurzem, nämlich anno 1909)."

Aus Bf. KH an Walter Fabian, 5.1.1968, Exilarchiv der Deutschen Bibliothek, Frankfurt

"Sie wollen, im Ernst, Münchner Trotteln, die an dem Essay [Heinrich Mann: Zola] 'Anstoß' nahmen, auch nur den Schatten des Bruchteils der Spur eines Rechtes dazu geben?"

Aus Brief KH an Dr. Kauffmann (Mitarbeiter des Münchner Georg-Müller-Verlags), 5.12.1916, Bayerische Staatsbibliothek München

"Daß er keinen Erfolg haben wird, widerlegt ihn zwar nicht; aber er ist so geistfern, daß er auch keinen verdient"

KH über den Religionshistoriker Prof. Schoeps, aus Brief KH an Jürgen Geisler, 1.10.1970,
Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin

"Nein, für die Schublade schreib ich keine Buchmanuskripte. Ich bin kein junger Romancier, sondern ein alter Kaktus."

Aus Bf. KH an Paul Steegemann, 22.6.1951, Deutsches Literatur-Archiv Marbach

"... man horstet auf dem Wolfen-, dem Ehren-, dem Lichtenstein, anstatt die Adlerflügel über dem Hochgebirge verwirklichender Vernunft zu spreiten. Man ist lieber Philolog als logophil..."

Aus Bf. KH an Klaus Kanzog, 8.4.1965, Deutsches Literatur-Archiv Marbach

"...wenn just in dem Punkte, in dem kein Lebender mich übertrifft und nur sehr wenige mich erreichen: in deutscher Prosa (erörternder), Menschen gleicher Kampffront quängeln, statt dankbar zu sein, dann kann ich allerdings fuchsteufelswild werden - nicht um meiner (mir verhältnismäßig gleichgiltigen) Person willen, sondern bei Gott um der Sache willen!"

Aus Brief KH an Kurt Englich, 17.3.1943, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn

"ich WILL mein eignes Buch, welches vollendet worden ist, nicht selber lesen können. Grotesk? Absurd? Tragisch? Hirnverbrannt? Mag sein, aber ich wills so. So will ichs... gewissermaßen weinend."

Aus Brief KH an Kurt Englich, 3.5.1972, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn
[Hiller schreibt hier über sein Buch "Eros", das seinem Wunsch gemäß erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde]

"Den Unterschied zwischen dem, was Roosevelt meint, wenn er 'Demokratie' sagt, und dem, was Ebert meinte, als er 'Demokratie' sagte, möcht' ich auf dem Waldhorn blasen können."

Aus Brief KH an Willi Eichler, 13.8.1941, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn

"Dass der Drucker Ihres Katalogs, trotz Doppelkorrektur Ihrerseits, den Schnitzer "Radioaktiv" stehen ließ, erinnert mich lebhaft an Vorgänge, die 1966 zu meinem Herzinfarkt führten."

Aus Brief KH an Carl Wegner, 2.2.1971, Privatbesitz

"Gesunden kann Ihre Partei nur, wenn sie Wehner einen derart gewaltigen Tritt in den Hintern gibt, daß dieses Miststück bis in den Kraal der Nationaldemokraten fliegt. Dort gehört es hin..."

Aus Brief KH an Walter Fabian, 15.10.1965, Exilarchiv der Deutschen Bibliothek, Frankfurt

"Man muß das ja nicht auf hillernde, man kann es ja auch auf höfliche Weise fragen!"

Aus Brief KH an Ruprecht Großmann, 18.5.64, Privatbesitz

"Wenn wir nicht wollen, daß die Strasser-Brüning-Stampfer (auch Otto Braun taucht plötzlich auf) eine 'Gegenregierung' bilden, was müssen wir dann tun? Was? Wie bitte? Jawohl!!!"

Aus Brief KH an Kurt Englich, 14.10.1939, Archiv der F.-Ebert-Stiftung Bonn

"Es ist eine Affenschande, daß ein K.H. noch im vorgerückten Alter es fertig bringt, sich eines derartigen Pleonasmus schuldig zu machen."

Aus Brief KH an Willi Eichler, 10.7.1936, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn
[KH hatte im Artikel "Die Angst vor Neuschöpfung" in der "Sozialistischen Warte" geschrieben: "Die Konservativität, mit der ... am Überholten kleben..." und gesteht im Brief an Eichler ein: "anders als mit Konservativität kann man nicht am Überholten kleben"]

"Verlage oder Autoren, die wünschen, daß ich ihre Werke lesen, müssen mir, wie ich's bei meinen eignen Produkten seit Jahrzehnten anordne, ein Besprechungs- oder Ehrenexemplar schicken. Ich kaufe seit Geschlechtern Bücher nur in Ausnahmefällen; Obst fast täglich."

Aus Bf. KH an Walter Fabian, 5.1.1968, Exilarchiv der Deutschen Bibliothek, Frankfurt

"Überall dort, wo Bäder ausgeschüttet werden, etabliere ich mich als Kinderfreund."

Aus Brief KH an Hans Wehberg, 26.3.1926, Bundesarchiv Koblenz

"Der SPD-Führer von Westdeutschland, Dr. Kurt Schumacher, ist prima. Wäre die Partei wie er, dann schlösse der FDS sich in corpore an."

Aus Brief KH an Kurt Englich, 18.1.1946, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn

"Glauben Sie mir, vielen bedeuten meine Aufsätze und gerade die rücksichtslosesten Kampfartikel eine Erschütterung, eine Klärung, manchen eine Erlösung. Der ungeheure Widerstand, auf den meine Litteratur bei den Philistern stößt, das heißt bei denen, die entschlossen sind, sich durch nichts erschüttern zu lassen, beweist mir, welche Kraft meine Litteratur hat."

Aus Brief KH an Hans Wehberg, 14.10.1925, Bundesarchiv Koblenz

"... vielleicht auch einfach glaubt, daß man Essös leichter anbringt, zumal bei Springersnobs, wenn man statt "Eduard" "Edward" unterschreibt. - Mensch Meia, die Sochte lieb' ick!"

Eduard Reichel hatte einen Zeitungsartikel mit "Edward Reichel" unterzeichnet.
Aus Brief KH an Walter Fabian, 21.12.1969, Exilarchiv der Deutschen Bibliothek, Frankfurt

"Gehört nicht zur Idiotokratie, daß zwar ungezählte Milliarden zur Erreichung des Mondes, des Mars, ja des Jupiter verschwendet werden, aber keine 5 Pfennige für den Versuch ausgegeben werden, der Überschwemmungen bei Sturmflut oder Schneeschmelze technisch Herr zu werden?"

Aus Brief KH an Emil Belzner, 28.2.1970, Deutsches Literatur-Archiv, Marbach

"[Hitler] schuf die flammendste, kräftigste, gewaltigste und (für mindestens ein Jahrzehnt) erfolgreichste Massenbewegung der neueren deutschen Geschichte. Hiller kann das nicht und will das nicht. Er will nicht die Massen gewinnen, sondern (auch falls es ihnen mißfällt) das tun, was ihnen und was der gesamten Menschheit objektiv förderlich ist. Das wahre Interesse der Massen liegt von ihrem vermeintlichen oft weit auseinander. Am wenigsten entspricht dem wahren Interesse der Massen, daß sie selber, mit Mehrheit, ihr Schicksal bestimmen. An dieser Stelle irrlichtert die große Illusion der alten Demokratie."

Aus Brief KH an Willi Eichler, Ostermontag 1942, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn

"Richter sind besonders dann etwas Problematisches, wenn sie gegen alte Damen galant sein möchten."

Aus Brief KH an Kurt Englich, 24.10.1970, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn

"Deine Erben werden sich nicht zu streiten haben. Auch gut. Man weiß ja nie, was den Menschen in die Köpfe fliegen kann. Da ist es schon gut, beizeiten sein - wie man wohl so schön sagt - Haus zu bestellen."

Aus Brief KH an Kurt Englich, 28.4.1972, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn

"...fühle ich mich vor Nietzsche, sooft ich ihn lese, wie die Maus vor dem Löwen."

Aus Brief KH an Willi Eichler, 7.4.1937, Archiv der F.-Ebert-Stiftung, Bonn

"Fahrt bis Frankfurt war gut ... nachdem ich mir, sachte Stück für Stück und mühelos meine Koffer aus dem Kasselwagen in einen frankfurtigen getragen hatte; (Nichtraucher, Fensterplatz). Scheusslich dagegen war die Fahrt von Frankfurt nach Mainz. Überfüllter Nahzug, Arbeiterzug. Aber einen Eilzug-, gar D-Zug-Anschluss nach Mainz hatte ich abends nach zehn nicht mehr. Wirtschaftswunderliche Angelegenheit! Übrigens gab es bei meiner Ankunft auf dem (teilunbedeckten, verregneten) Hauptbahnhof Frankfurt, exactly wie im September auf dem von München, weit und breit keinen Gepäckträger - bei 600 000 Arbeitslosen in der Bundesrepublik! Ich werde mir nun doch wohl einen dritten Arm anputieren lassen müssen! (Oder aber das Reisen in Deutschland abgewöhnen.)"

Aus Brief KH an Walter Detlef Schultz, 16.12.1955 (Hiller-Nachlaß)

"Vielleicht muss ein Kontakt Installateur/Fernmeldeamt [Brahmsallee 13 / Dammtorstrasse] unsrerseits hergestellt werden? Der Installateur - wie hiess er nur? - sagte mir am `phone, dass er, seinerseits, die Fernsprechdose anlege, neben der Lichtdose (gleichzeitig Heizdose). Muss das Telephon überhaupt eine Steckdose haben? (Da ich im Schlafzimmer keinen Anschluss benötige)? Ist es nicht dosenlos an der Ecke Fenster/Bücherregal anbringbar? Was tut dann der Installateur dort? Ich sehe das Problem so verschwommen, wie Heidegger philosophiert. O Techno-Pein!"

Aus Brief KH an Walter Detlef Schultz, 20.12.1955 (Hiller-Nachlaß)

"Rom ex. 40% der Zeit regnete es; 55% wars trocken, aber völlig bewölkt; 5% blauer Himmel. An Kunstschätzen fast alles gesehen; die Wahrheit meiner ‚Vorurteile' erhärtet; einiges Wenige dazugelernt.
Gipfel aller Gipfel bleibt: Michelangelo. Die Sistina (Erschaffung Adams!) beiseite - wie ungeheuer doch dieser Moses ist (in San Pietro in Vincoli): die extreme, übrigens gebändigte Führer-Energie plus jener Denker-Melancholie, die den tiefliegenden Augen entschauert. (Die Hörner: frühester Surrealismus.) Auf dem Kapitol zwei Paläste, von denen ich sofort beim Betreten des Platzes sagte: ‚Die herrlichste Architektur in ganz Rom; DAS IST Architektur!' Ich sagte es, ohne in dem Moment zu ahnen, dass Die Paläste von Michelangelo entworfen waren. Übrigens fesselte mich unter x Gemälden ein Magdalenenbild; als ich nach dem Schild sah, wars ein Tintoretto. Eine herrliche Landschaft voll Menschen und mit toller Perspektive - natürlich entpuppte sie sich als von Poussin. Neu waren mir ägyptische Säulen aus dem 4ten vorchristlichen Jahrhundert mit Reliefs unten; neu aus gleicher Zeit ägyptische Granit-Affen mit großartigem Gesichtsausdruck. Porträtbüsten von Philosophen, Dichtern, Politikern, Kaisern (aus der spätgriechischen und der ‚hellenistischen' Römerzeit): das kann man heute einfach nicht mehr; diese das ästhetische Gesetz nie verletzende super-differenziersame Charakterisierungskunst! Ferner: am >Laokoon< und besonders an den vielen Sarkophagen das schier unlösbare Problem ständig gelöst, im Statischsten: dem Stein, Dynamik zu geben; durch Skulptur Bewegung zu gestalten; la quadratura dello circolo! [...]
Kalt ließ mich, im ganzen, die ‚klassische' Skulptur der Griechen; diese weichen Göttinnen, sanften Götter und glatten Athleten - eine Plastik eigentlich, heute, für Schulvorsteherinnen. Ich sehe die höchste Kunstkraft der Griechen weder in ihrer archaischen noch auch in ihrer ‚klassischen', praxiteleïschen, sondern in ihrer sogenannten Verfallszeit. Die griechische ‚Décadence' ist das ganz große Wunder und der Gipfel."

Aus Brief KH an Walter Detlef Schultz; Napoli, 23./24.3.56 (im Hiller-Nachlaß)