Haft, Folter, Konzentrationslager

Hiller schilderte als einer der Ersten seine qualvollen Erlebnisse

Eines der wichtigsten und zeitgeschichtlich interessantesten Kapitel von Hillers Autobiographie reflektiert seine Erfahrungen in der Nazi-Haft.

Als Jude, Pazifist, Sozialist, Autor der WELTBÜHNE war Hiller den Nazis ein Dorn im Auge. Bereits Anfang März 1933 drangen sie in Hillers Wohnung ein, beschlagnahmten, beschädigten und stahlen. Am 23.März wurde Hiller, der für sich eine rechtzeitige Ausreise aus Deutschland abgelehnt hatte, verhaftet.

Im berüchtigten "Columbia-Haus" wurde Hiller gefoltert und vegetierte unter unglaublich widrigen Bedingungen, die er in seinen Lebenserinnerungen anschaulich und ergreifend beschreibt. Einer seiner Kameraden ist der Schriftsteller Erich Mühsam, der im Juli dort getötet wird, was von Hiller nach seiner Haftentlassung ein Jahr später publik gemacht wurde.

Nach dieser Hafthölle durchläuft Hiller noch die KZs Oranienburg und Brandenburg, bevor er 1934 - angeblich auf Befürwortung eines hohen Nazifunktionärs - freigelassen wird.

Er flieht in die Tschechoslowakei und bemüht sich dort, die sozialistischen Emigranten im Widerstand gegen die Nazis zu vereinigen . Im Dezember 1938, kurz vor dem Einmarsch Nazideutschlands in die Tschechoslowakei, gelingt Hiller und Freunden die Flucht nach London. Im Exil dort lebt Hiller bis 1955, bevor er seinen Wohnsitz wieder nach Deutschland verlegt.

"Am 2. Februar kamen Mühsam und ich, als Bestandteile eines Transports von etwa hundert Mann, nach dem Konzentrationslager Oranienburg. (Offene Lastautos, bei schneidender Kälte; bewegungslos gepfercht stand man drei Stunden lang im Wagen.) Im Schlafraum der 'sechsten Kompagnie' von Oranienburg lagen unsere Strohsäcke nur durch zwei andre getrennt. Seine Behandlung war, alles in allem, besser als in Brandenburg. Zwar amüsierte sich hier der SA-Obersturmführer Stahlkopf, ein gleichsam aus dem Lehrbuch geschnittener Sadist (Zivilberuf: Gutsinspektor; Aussehen: eines mittelfetten kleinen Baumwollagenten oder Börsenmaklers; ergo: Selbsthaß, das Objekt nach außen verlegt; antifetischistischer Krudelismus gegen Juden); aber Stahlkopf's Sadismen waren seit Ende Februar, Anfang März durch das Eingreifen des verhältnismäßig anständigen Kommandanten Schäfer erheblich gedämpft. Mühsam hatte Klosettdienst, Kartoffelschäldienst, Strumpfstopfdienst; er litt darunter nicht zu sehr, war meist gut gelaunt, zumal er viel Eßpakete von den Seinen, Zigarillos, die er so gern schmauchte, und alle zwei, drei Wochen Besuch erhielt, täglich ein paar Stunden Schach spielen durfte und - Hauptsache! - nicht mehr geschlagen wurde. Sein Gehör besserte sich, seine Farbe wurde frischer; als wir uns am 28. April, dem Tag meiner Entlassung, trennten, machte er keineswegs den Eindruck eines gebrochenen Mannes."

"Ein großer deutscher Schriftsteller, Carl von Ossietzky, ist dahingegangen, zwei Jahrzehnte, bevor er das biblische Alter erreicht haben würde, also viel zu jung (er wurde am 3. Oktober 1889 geboren und starb am 4. Mai 1938). Obschon er in sogenannter Freiheit an einer Krankheit starb, ist er gemordet worden, langsam und planvoll, in Kerkern und Marterlagern, gemordet von Individuen der Gattung Mensch, denen man nicht den Namen 'Bestien' geben soll, weil das Raubtier unschuldiger, weniger berechnet-böse ist; gemordet von dem durch alles Geistwesen getroffenen, herausgeforderten, zu wütendem Haß aufgestörten Gesindel, das seit fünfeinhalb Jahren in der Heimat die Macht hat."

"Am Abend des 7ten März 1933 brach zu Friedenau die SS in meine Wohnung ein. [...] Um eins bin ich in Friedenau. Ich sehe und höre. Mein Arbeitszimmer: ein Trümmerhaufen; auf dem Fußboden in wüstem Durcheinander hunderte von Büchern, Zeitschriften, Zeitungsausschnitten, tausende von Postkarten, Brieffetzen, dazwischen Glasscherben, Porzellanscherben, Photographien, ein umgestülptes Regal, ein umgeworfener Tisch, die Voltairebüste hinuntergeschmettert neben der alten Bibel, Zigarettenstummel (nicht von mir!), auf einem hingeschmissenen Band Schiller in Écraséleder ein ausgespieenes Stück Apfelsine. Die sieben Schlösser meiner beiden Schreibtische erbrochen, gleichfalls der Verschluß einer Truhe. Die Bilder an der Wand... was war geschehen? Kurz vor elf war meine Mutter vom Besuch bei ihrer Freundin zurückgekehrt. Sie hatte von draußen die Fenster meiner beiden Zimmer erleuchtet gesehen, und, da ich so früh nicht aus der Stadt heimzukommen pflegte, sich mütterlich geängstigt; sie hatte befürchtet, ich sei erkrankt. An der Haustür empfing sie ein Mann in schwarzer Uniform, an der schwarzen Mütze den Totenkopf. Er fragte sie nach ihrem Namen, brachte sie in unsere Wohnung (Parterre), deren Tür, ebenso wie die Haustür, mit einem Dietrich geöffnet worden war, sperrte sie in ihre eigne Küche ein, stellte sich bewachend davor, kam, als sie das Fenster öffnen wollte, um freundliche Nachbarn zu Hilfe zu rufen, Drohungen brüllend hereingesprungen und ließ sie nach zwanzig oder dreißig Minuten wieder frei. Aus der Küche, nicht etwa aus der Wohnung. In dieser begegnete sie nun drei Individuen gleicher Gewandung und einem in Zivil. Von den Schwarzen einer, ein schwerer Mann, forschte sie aus, wo mein Revolver sei. Ich habe tatsächlich nie im Leben eine Waffe besessen; die Antwort enthielt das. Sie zerschlugen etliche Vasen, zerklopften mit einem Hammer das Glas einiger Bilder: der Revolver fand sich nicht. 'Ihr Schwein von Sohn ist Kommunist!' fauchte einer. Nun hat es sicherlich eine Ehre bedeutet, von solchen Gesellen als Kommunist angesprochen zu werden; meine Mutter jedoch entsann sich, daß ich niemals einer Partei angehört hatte, und protestierte. Man durchschnitt den Protest mit der Feststellung, ich hätte zur Internationalen Arbeiter-Hilfe Beziehungen und sei mit Ernst Toller befreundet. 'Beziehungen' - mein Gott, ich hatte auch zu gläubigen Katholiken Beziehungen, aber war darum doch keiner; und Toller ein Kommunist? Da lachen die Hühner. [...] Die Schwarzen, hierüber konnte es nach ihrer Schilderung keinen Zweifel geben, waren SS-Leute. [...] Da stehe ich nun nachts in der verwüsteten und ausgeplünderten Wohnung!
Zerstört sind vor allem die beiden wundervollen und kostbaren Sportlerstatuetten von Renée Sintenis, Original-Gußmodelle . Zerschlagen haben sie meinen antiken Delfter Porzellan-Elefanten. Zerschlagen haben sie das Glas vier eingerahmter Bilder; mit einem Messer zerkratzt die Gesichter des photographischen Doppelbildnisses meiner Eltern als Brautpaar (aus 1884), das in einem riesigen ovalen Schnitzrahmen an der Wand hängt; die Kratzer gehn bis in die Tapete. Das Porträt in Öl, von Vally Simonsohn, das meine Mutter in ihrem 62sten Jahre zeigt, weist einen erwa 15 cm langen waagerechten Schnitt durch die Bildfläche auf, und in die Nase der Dargestellten sind mit dem Finger zwei groschengroße Löcher gebohrt. Beim Anblick dieser geschändeten Leinwand wird mir klar, was 'deutsche Innerlichkeit' und 'Adel nordischen Blutes' heißt. Nur Geschmeiß, dem solche Eigenschaften völlig fehlen, erhebt sie zu Losungen. Ich denke: Wärs auf dem Bild eine junge Frau, dann könnte der Sexuolog, wertfrei analysierend, vielleicht mildernde Umstände zugestehn; doch Lustmord am Porträt einer grauhaarigen Matrone? Der Magen dreht sich mir um."

"Zum erstenmal im Leben verhaftet sein ist ohnehin keine leichte Sache; aber nicht zu wissen, weshalb, und nicht zu wissen, für wielange... himmelhimmel. Von vornherein nehme ich mir vor: nur festbleiben! nicht die Nerven verlieren! um keinen Preis zusammenklappen! die Würde des Ideemanns wahren! komme, was kommen mag - sich nicht unterkriegen lassen! Das Rezept hat sich bewährt."

"Im Strafgefängnis Spandau war ein Trakt den 'Schutz'häftlingen zugewiesen; sie unterstanden einem eigens für sie eingesetzten Inspektor, welcher nicht unenergisch, aber ein korrekter Beamter war, noch aus der von den Nazis so genannten Systemzeit, und mehr, nämlich ein anständiger Mensch. Ihm ist es zu verdanken gewesen, daß nach übereinstimmendem Urteil aller, die in der Lage waren, Vergleiche zu ziehen, Spandau, verglichen mit den übrigen Konzentrationslagern, ein Paradies war. Darum wurde es auch nach ein paar Monaten aufgelöst. Ein freundlicher Ton herrschte, nie kam ein Schlag vor, es gab ordentliche Betten, erträgliches Essen, unbeschränkten Paketempfang, leidliche Sauberkeit, freie Wahl zwischen Einzelhaft und Gemeinschaft, keine Exerziererei, legeren Spaziergang in Reihen zu Zweien mit Unterhaltung - man durfte während des Spazierens auch den Partner wechseln und hatte somit Gelegenheit, Bekannte aus anderen Stationen zu sprechen , Raucherlaubnis bestand (nicht mir, aber der Mehrzahl wichtig) und weder echte Zwangsarbeit noch getarnte: den ganzen Tag las, schrieb, diskutierte man, spielte man Schach oder Skat. Als Hausreiniger und Essenträger fungierten Strafgefangene; die Reinigung unseres Gemeinschaftsraums nahmen wir selber umschichtig vor. Wir waren etwa dreißig; es herrschte prachtvolle Kameradschaft; ein verkümmerter kleiner Schmierfink dreizehnten Ranges aus dem Romanischen Café und ein etwas unterweltlicher Zotenrohling aus Berlin NO wurden bald zur Räson gebracht. Je weniger wir älteren Intellektler uns von der Reinmacherei zu drücken versuchten, desto eifriger sprangen die jüngeren Manuellen uns bei, nahmen uns den schmutzigeren und schwereren Teil der Arbeit ab, machten sich geradezu ein Vergnügen daraus. Nie habe ich so wenig Ressentiment von Arbeitern gegen Hirnleute gefunden. Dieser widerwärtige und im Effekt konterrevolutionäre Haß ist ja auch nicht auf den Beeten der Arbeiterschaft gewachsen, sondern von Halbgebildeten und Viertelgeistigen, aber aus den 'intellektuellen' Branchen, teils auch von hochgebildeten Selbsthassern in die Arbeiterschaft hineingetragen und dort gezüchtet worden."

"Am 14. Juli 1933 beginnt für mich die Periode der Qual. Ich vermag den seelischen Zustand nicht zu beschreiben; ich kann nur beschreiben, was ihn hervorrief.
Mittags holen sie mich ab. Ein hagerer, raubtierischer Kommissar in Zivil und ein SS-Knecht. Sie reißen mich aus der Wohnung, erlauben mir nichteinmal, das Lüsterjäckchen auszuziehen, das ich im Hause trage, und die Jacke anzulegen, die Teil des Anzugs ist. Zahnbürste und dergleichen - nichts darf mit. Ich müßte barhäuptig ins Auto steigen, würfe die treue Aufwartefrau Losensky mir nicht den Hut auf die Treppe nach. Als ich, im Auto, mich zum Kommissar umwende, Boxhieb des Schwarzen gegen mein Kinn; noch einer. Im Hofe des frisch eingerichteten Geheimen Staatspolizei-Amts, Prinz-Albrecht-Straße, hält der Wagen. Der Schwarze packt mich, stößt mich die Treppe hinauf, zuletzt in ein Zimmer, wo ein SS-Mann mit drei Sternen, 'Sturmführer', Leutnantstyp, thront; ich muß mich dicht an die Wand stellen, mit dem Gesicht zur Wand."

"Wir müssen uns in einem engen halbdunklen Gang nebeneinander aufstellen, müssen alles, was wir bei uns haben, vor uns niederlegen, im Hut oder in der Mütze: also Brieftasche, Uhr, Messer, Bleistifte, Portemonnaie, sogar den Ring vom Finger, Krawatte und Kragen, das Taschentuch, den Hosengurt, die Schnürsenkel. Die Hose rutscht, das Schuhwerk laatscht. Vor jeden von uns tritt ein SS-Kerl, ganz dicht, fast Nase an Nase. Ich schaue mir meinen an, sein Antlitz still analysierend. Er brüllt, ich Schwein solle zu Boden sehn. Sein Nachbar, grinsend, wünscht mit ihm zu tauschen. Vor mich hin tritt ein riesiger Boxkanake, Promenadenmischung, höhnischer Blick, spitze, etwas zu kleine Nase, unten rötlich. Er lacht mich dreckig an: 'Solche weeche Neese, die lieb' ich besondas' - und schon habe ich vier, fünf Fausthiebe im Gesicht, mit voller Kraft aus nächster Nähe versetzt, so daß mir schummerig vor Augen wird und das Blut in vollem Strom aus der Nase schießt."

"Die Mitte des Raums nimmt ein großer viereckiger blankgescheuerter Tisch ein; rings um ihn sitzen und stehen rund zwanzig SS-Leute, einer mit nacktem Oberkörper, muskelbepackt wie der Henker auf Schundbildern, offenbar ein professioneller Athlet. Die Gesichter der Männer: nicht höhnisch, eher ruhig-gespannt, wie im Zirkus vor Beginn der Vorstellung. Das Kommando führt ein dicklicher bierblonder Patron, Mitte dreißig, über den ich später erfahre, daß er Lipke oder ähnlich heißt. Ich muß mich über den Tisch legen; vier Kerle pressen mir die Hände an die Tischkanten und halten meine Füße fest. Hinter mich tritt der Entblößte, mit riesiger Peitsche (ich sehe sie nicht, aber ein paar Tage später zeigt sie mir in meiner Zelle grinsend der Boxer - sie ist zwei bis drei Meter lang und aus weich-breitem gelbem Leder). Fünfundzwanzig Hiebe, mit herkulischer Kraft verabreicht. Nach dem fünften, sechsten glaube ich: das ist nicht überlebbar, und beginne zu schreien. Das stachelt die Leute; spöttische Zurufe. Nach dem vielleicht zwanzigsten Hieb brülle ich, ich würde ohnmächtig. Ich werde es nicht. Nach dem fünfundzwanzigsten tritt eine Pause ein. Ich falle zu Boden; man reißt mich auf. Man befiehlt mir, Hose und Unterhose herunterzulassen, und ich muß mit dem Bauch von neuem über den Tisch. Man umklammert mir die Gelenke, drückt meinen Kopf mit einer Wucht auf die gescheuerte Platte, als wäre er auf der Gesichtsseite selber platt, hebt mir das Hemd hoch, und nun folgen abermals fünfundzwanzig. Durch die Gewöhnung und bei sich verminderndem Bewußtsein werden sie um den Schatten einer Spur weniger unerträglich als die ersten.
Nach der Exekution bin ich nicht viel lebendiger als eine Leiche. Auf der Tischplatte, dort wo mein Kopf lag, liegt eine große Lache Blut. 'Blutverlust: gering!' höhnt Lipke. Dann fragt er mich: 'Na, is dir eena abjejangen?' Die Frage verrät den Frager und das Rudel. Ich wanke zum Waschraum, vielmehr werde gewankt. Man steckt mir den Kopf unter einen dicken Strahl kalten Wassers: als Peinigung gedacht, als Wohltat empfunden. Von Abtrocknen keine Rede. Man treibt mich im Laufschritt zur Zelle; ein ungeheurer Fußtritt befördert mich hinein. Ich fliege an die der Tür gegenüberliegende Steinwand; auf der Stirn klafft eine Wunde; ich versinke auf dem Strohsack in Schlaf.
So sieht der Anfang, so sieht der Empfang aus - nicht nur bei mir. Alle Intellektuellen werden so empfangen, alle Juden, die meisten Kommunisten, von den jetzt allmählich hereinströmenden Sozialdemokraten ein Teil. Später erzählt mir ein Kamerad, er habe nicht wie ich fünfzig Peitschenhiebe, sondern hundertzehn bekommen. Der Fall war nicht selten, daß ganze Gesäßbacken fortoperiert werden mußten, weil das zerwalkte Fleisch faulte. Ob die Erbarmungswürdigen Prothesen erhielten, weiß ich nicht."

"Um neun Uhr abends läßt Rautenberg mir Handschellen anlegen... bis sechs Uhr morgens. Das preßt die Gelenke, schneidet in die Haut und drückt beide Hände enger zusammen, als Fesseln mit Ketten es täten. Der Kettensträfling der Unterhaltungsbeilage ist das Dramatischere, der Gemarterte des Hitlergesindels ist das Fürchterlichere. Die Stahlringe der Handschellen, um beide Gelenke gelegt, verbindet ein Scharnier, ein ganz kurzes. Neun Nachtstunden so zu liegen, - ich wünsche es höchstens dreien von meinen siebzig Feinden. Man ändert ständig, im Rahmen des Möglichen, die Lage der an den Wurzeln zusammengezwungenen Hände zueinander und hält das gekoppelte Armpaar abwechselnd über dem Bauch und über dem Kopf. Todmüde sein, infolge der Schellen nicht zum Schlaf kommen, dabei momentweise hundertmal eindrusseln, durch den Handzwang immer wieder wach werden, Erleichterung versuchen, umsonst, umsonst, ein wüstes Halbtraumdämmern, schmerzdurchädert und von Gespenstern durchspukt, zum Beispiel von meiner runden Klavierlehrerin aus früher Kindheit, der toten Tante Thilde, mit erschreckendem gift-grünen Gesicht... dies ist wirklich die Hölle."

"Sechsunddreißig Tage Einzelhaft ohne Arbeit, ohne einen Buchstaben Lektüre - im Rechtsstaat wird dem zu lebenslangem Zuchthaus verurteilten oder begnadigten Raubmörder nicht der sechsunddreißigste Teil dieser Qual zugemutet. Hier nicht irrsinnig zu werden, ist das große Wunder. Erstaunlich, erstaunlich, was der Körper eines 'dekadenten Asphaltliteraten' und das Nervensystem eines 'Neurotikers' aushält! Ich probiere alle möglichen Beschäftigungen; ich berechne im Kopf die Primzahlen bis tausend; suche mittels einer in den Kalk gekratzten Figur (die Wand hat Nägel) den Pythagoras zu beweisen; strenge mich an, die Formel für Umfang und Inhalt von Kreis und Kugel abzuleiten; überdenke, welche europäischen Staatsoberhäupter Zeitgenossen der Queen Victoria gewesen sind (wie man weiß, hat sie 64 Jahre regiert, worin sie durch Johann II, Fürsten von Liechtenstein, übertroffen wurde, welcher 71 Jahre regierte); stelle eine Anciennitätsliste meiner Freunde zusammen; mit Spitznamen, die ich erfinde, eine nach Typen geordnete Liste aller mir begegneten SS-Männer".

"Sind die physischen Mißhandlungen die schlimmern oder die moralischen? Eine Doktorfrage. Gar nichts macht mir aus, zehnmal hintereinander rufen zu müssen: 'Ich bin ein ägyptischer Wüstensohn'; als ob es, wenns wahr, eine Schande wäre! Hat denn die Sonne Ägyptens jemals im Laufe von Jahrtausenden ein Geschmeiß ausgebrütet vom Range dieser SS-Brüder?"

"Eine der schlimmsten Peinigungen für jeden von uns waren die Marterungen der andern. Abends gegen acht, wenn das Grammophon zu quaken und kreischen beginnt, wissen wir, daß wieder 'einer dran ist'. Die Schreie der Gepeitschten sollen übertönt werden; sie sollen vor allem nicht nach draußen dringen. Ich hörte indessen nicht nur, ich sah auch. Eines Morgens, auf dem Weg über den Hof zum Waschen an der Pumpe (man läuft mit nacktem Oberkörper), erblicke ich vor mir den verkrüppeltsten Menschen, der mir im Leben begegnet ist, einen Zwerg mit gewaltigem Puckel; diesen Puckel karrieren dunkelrote Striemen. Man hat es gewagt..."

"Unbedingt bestätigt hat sich meine alte Erfahrung, daß roher Rassenhaß beinahe ausschließlich bei Unrassigen auftritt, bei faulen Mischungen, bei biologisch oder skulpturell mißratenen, objektiv häßlichen Menschen (einem Phänomen, das es, ungeachtet der relativen Subjektivität des ästhetischen Urteils, fraglos gibt). Man denke an Goebbels; Herrn Blank zeichnete ein Wasserkopf aus. Vielleicht kommt grober, niedriger, gemeiner, sich teuflisch betätigender Haß - ganz jenseits der Rassenkontraste und -sentiments - überhaupt nur bei somatisch Mißratenen vor oder, genauer, bei solchen, die sich, mit Recht oder Unrecht, für mißraten halten. Wie dem auch sei, unter den SS-Leuten, die ich erlebte, waren die 'dinarischen', die 'ostischen', die mongoloiden, die semitoiden Typen die übelsten Peiniger, während die (recht wenigen) ausgesprochen germanischen, 'nordischen' Typen, die jenem Team beigemischt waren, sich fast durchweg sachlich, ruhig und menschlich benahmen. Sie waren biologisch eben mit sich zufrieden, ihr körperliches Ich war kein Problem für sie, es existierte in ihrem 'Es' (Freud) kein Kriegsschauplatz zwischen zwei Seelen, den nach außen zu verlegen sie gelüstet hätte, damit sie draußen auf ihren Antifetisch losschlagen können, der in Wahrheit sie selbst sind. Das 'nordische' Theorem mag halbrichtig sein, doch es wird stets von denen vertreten, gegen die es zeugt! Bei den fünf Völkern Nordeuropas, bezeichnenderweise, kennt man es nicht. Den Rassegedanken in den Mittelpunkt einer Ideologie stellen werden nur Personen, die es nötig haben. Ein Deutscher, das erkannte ich im Columbia-Haus, muß sich offenbar hamitischer Züge, pygmäischer Statur, trauriger Engbrüstigkeit und eines Klumpfußes erfreuen, um zum Kriterium aller seiner Werturteile die lichte, hohe, athletische Baldurgestalt zu machen."

"Die Ausrottereien im Altertum, die durch die Hunnen unter Etzel, durch die mongolischen Horden unter Dschingis-Khan und Tamerlan, die Infamien der Inquisition, die der Bartholomäusnacht 1572, die Kongogreuel nach 1880, die Pogrome später in Kischinew und anderswo, die tötende Verjagung der Armenier in die Wüste durch die Türken vor einem halben Jahrhundert - alles dies berücksichtigt, glaube ich kein Übertreiber zu sein, wenn ich sage: ein Ausrottungsverbrechen wider Unschuldige, das an die Größe und Gemeinheit des von Hitler begangenen auch nur von ferne heranreicht, hat es in der Geschichte des Planeten nicht gegeben."