Das Treffen in Braunschweig

Die diesjährige JHV der Gesellschaft fand am 3. November 2007 statt, in Braunschweig im Konferenz-Center der Volkswagen-Leasingbank, Financial Services AG, Gifhorner Straße.

18 Mitglieder/Gäste fanden sich im Konferenzraum ein, nachdem sie sich vorher bei einem Imbiss gestärkt hatten.

Der 2. Vorsitzende Dr. Harald Lützenkirchen (Neuss) referierte über Kurt Hillers Beziehungen zu Braunschweig, wobei er auf Hillers Rede "Linkspazifismus" auf dem Deutschen Pazifistenkongreß 1920 in Braunschweig verwies. Ferner hatte Hiller Kontakt zum 1898 in Braunschweig geborenen Schriftsteller und Übersetzer Ernst Sander; die Briefe Hillers an Sander befinden sich heute im Stadtarchiv Braunschweig.

Der 1. Vorsitzende Dr. Till Böttger (Leipzig) stellte den soeben erschienenen Band 3 der Schriften der Hiller-Gesellschaft vor und ging inbesondere auf den enthaltenen vollständigen Briefwechsel zwischen Hans Wollschläger und Hiller ein.

Dr. Ruprecht Großmann (Bremen) war als Jurist prädestiniert dafür, über die Aktualität der vor 100 Jahren von Hiller aufgestellten Rechtspostulate zu referieren. Die liberalen Elemente des heutigen Strafrechts habe Kurt Hiller anno 1907 mit entwickelt.

Dr. Rolf von Bockel (Hamburg) kündigte an, in seinem Verlag Anfang 2008 Hillers Buch "Das Recht über sich selbst" von 1908 als Reprint herauszugeben.

Michael Buchholz (Halle, Westfalen) referierte über sein Dissertations-Projekt, das dem Geistes- und Naturwissenschaftler Max Steiner gewidmet ist, dessen Nachlassschriften Hiller 1912 herausgegeben hatte.

Schliesslich übergab Dr. Ruprecht Großmann an Dr. Harald Lützenkirchen für das Archiv der Gesellschaft einen Ordner mit Briefen Hillers und anderen Materialien aus seiner Zeit als Schriftführer des von Hiller geleiteten "Neusozialistischen Bundes".

Ruprecht Großmann erläutert den Ordner mit Hiller-Briefen und Materialien zum Neusozialistischen Bund

v.l.n.r.: Dr. Ruprecht Großmann, Dr. Frieder Eggers, Dr. Harald Lützenkirchen, Dr. Rolf von Bockel, Dr. Wolfgang Beutin, Heidi Beutin

v.l.n.r.: Horst Faber, Kristina Lützenkirchen, Tobias Kornke, Arno Oberbauer, Michael Bucholz

v.l.n.r.: Michael Buchholz, Kurt Kraushaar, Klaus Täubert, Ralf Dose, M.A. (Vorsitzender der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft)

Alle 4 Fotos: Heidi Egbering

Das Konferenzcenter der Volkswagen-Bank in Braunschweig

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Kurt Hiller und Braunschweig

Kurt Hiller war mindestens einmal in Braunschweig gewesen. 1920 fand hier die Hauptversammlung der Deutschen Friedens-Gesellschaft statt.
Bereits in den Jahrbüchern "Das Ziel" 1916 und 1918 hatte Hiller pazifistische Gesinnung gezeigt
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Im Frühjahr 1920 wurde er Mitglied der DFG und Delegierter der Ortsgruppe Berlin auf dem Pazifisten-Kongreß in Braunschweig vom 30.Sept. bis 3.Okt. 1920
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Tagungsort war das Park-Hotel, in der Innenstadt am Steinweg, nahe beim Staatstheater.
Im 2. Weltkrieg wurde esI zerstört, konnte aber noch bis 1961 als Hotel dienen, ehe es zugunsten von Wohnhäusern abgerissen wurde.
An zwei Abenden fanden öffentliche Versammlungen statt, die mit jeweils mehr als 1000 Personen gut besucht waren
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Sonntags Vormittags gab es eine Sitzung der Kongreßteilnehmer im großen Saal des alten Rathauses.
Hiller hielt auf dem Kongreß seine Rede "Linkspazifismus". Darin fordert er die Abschaffung der Wehrpflicht, da niemand aufgrund des von Hiller postulierten Selbstbestimmungsrechts gezwungen werden dürfe, sein Leben zu opfern. Demgegenüber forderten die herkömmlichen Pazifisten völkerrechtliche Maßnahmen zur Friedenssicherung. Somit war Hillers Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht und der Reichswehr radikal.
Der Publizist und Politiker Harry Graf Keßler notierte dazu in seinen Tagebüchern: "Hillers Dienstverweigerungsresolution hat alles gegeneinandergehetzt. Fast wäre die Friedensgesellschaft auseinandergeflogen."
Ferner deutet der Titel der Rede "Linkspazifismus" an: Verknüpfung von Pazifismus und Sozialismus, die Hiller später in der Gruppe Revolutionäerer Pazifisten noch deutlicher machte: Sozialismus führe zu sozialer Gerechtigkeit, sodaß keine Kriege aus wirtschaftlichen Gründen mehr geführt würden
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Hillers mit der Rede eingebrachte Resolution fand nicht die Mehrheit auf dem Kongreß, aber der gedankliche Boden war bereitet und ein Jahr später gab es eine Mehrheit für diese Resolution
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Der österreichische Pazifist Alfred H. Fried, Friedens-Nobelpreisträger 1911, schrieb über den Braunschweiger Kongreß in der Zeitschrift "Die Friedens-Warte":
"So angenehm und genußreich der Aufenthalt in dieser historisch und architektonisch so anziehenden Stadt auch gewesen, so anheimelnd in landschaftlicher Beziehung Braunschweig auch war, erscheint es doch wünschenswert, daß die künftigen Kongresse in Städten abgehalten werden, die mehr im Zentrum des Weltgeschehens liegen. Es ist notwendig, daß sich die Arbeiten einer solchen Zusammenkunft sichtbarer vor dem Lande und der Welt abspielen. Auswärtige Presse war in Braunschweig mit einer Ausnahme überhaupt nicht vorhanden."
Im folgenden Jahr fand der Deutsche Pazifistenkongreß dann in Bochum statt.
Hillers Rang als Pazifist war 1920 mit dieser Rede begründet worden, und so hatte er immer eine gute Erinnerung an Braunschweig
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Ein anderer Berührungspunkt mit Braunschweig:
In dieser Stadt wurde 1898 der Schriftsteller und Übersetzer Ernst Sander geboren, welcher 1976 starb.
Hauptsächlich wurde er bekannt als Übersetzer der Werke Balzacs und Flauberts.
Mit ihm war Hiller schon um 1917 bekannt geworden durch den Verleger Paul Steegemann.
Nach Jahrzehnten nahm Hiller den Kontakt 1956 wieder auf, nachdem er eine Schrift Sanders gelesen hatte. Sander war ein unpolitischer Schriftsteller, trotz Kenntnis der politisch engagierten "Ziel"-Jahrbücher Hillers.
Immerhin hatte Sander Zivilcourage; nach eigener Aussage wurde er 1942 vom Hauptmann d.R. zum Infanteristen degradiert, wegen eines Schüttelreims, der da lautet:
"Mich wird man noch den großen Schüttler heißen,
Wenn alle Leute längst auf Hitler sch...."
Hiller hatte nun Sanders Geschichte "Eine jüdische Mutter" gelesen, war auch ergriffen davon, aber sein Einwand lautet:
"Es genügt nicht, hinterher das Grauenvolle mit dichterischer Kunst klagend zu konterfeien; wichtiger wäre, es vorher realiter zu verhindern. Dieser Aufgabe (der destruktiv- und konstruktiv-politischen) weicht Ihr Schöngeister aus und werdet so zu Mitschuldigen. Ihr malt die Hölle, statt sie zu löschen."
Mit diesem Vorwurf endet der Briefwechsel.
Obwohl Ernst Sander damals im Badischen lebte, gelangte sein Privatarchiv nach Braunschweig zurück, und so findet man heute im hiesigen Stadtarchiv 1 Brief und 3 Postkarten Kurt Hillers als Originale.

Harald Lützenkirchen


Das Staatstheater am Steinweg. An der Stelle der Wohnhäuser links stand bis 1961 das Park-Hotel, in dem Hiller 1920 seine Rede "Linkspazifismus" hielt.

Das Altstadtrathaus, in dem am letzten Tag des Pazifistenkongresses 1920 eine Sitzung stattfand.